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Ici et ailleurs
N°173
ch treffe Sara in dem Gebäude an,
in dem die Lehrräume und die
Werkstatt für die Flüchtlinge unter-
gebracht sind. Es befindet sich in
einer Athener Industriezone. Sara
und die anderen, an die 15 freiwilli-
gen Hilfsarbeiter, finanzieren die Miete
aus Spendengeldern. Der griechische Staat
hält keine Hilfsgelder für das im Oktober
2017 gegründete ANKAA-Projekt bereit,
die Spenden fließen dem gemeinnützigen
Projekt von Privatleuten aus Luxemburg
und von diversen Hilfsorganisationen zu.
Die gesamte Einrichtung der Räume ist
nach dem re-use/recycle/repair-Prinzip
eingerichtet. Im unteren Stockwerk die
Rezeption, im Empfangsraum ein in der
kürzlich eingerichteten Holzwerkstatt her-
gestellter Tisch, im oberen Stockwerk die
Lehrzimmer, die Cafeteria und Kantine.
Die Türen sind aus Holzlatten fertigge-
stellt, auch die Tafeln in den Unterrichts-
räumen sind aus Sammelmaterial angefer-
tigt. Das Essgeschirr in der Kantine
stammt aus einem Altersheim in Luxem-
burg, die Tassen in der Cafeteria ein zu-
sammengewürfeltes Sammelsurium, eben-
falls aus Luxemburg. Während unserer
Unterhaltung sitzen wir auf reparierten
Altstühlen an einem gespendeten Tisch.
Sara hat vorerst humanitäre Hilfe in den
Flüchtlingslagern in Serbien und in Thes-
saloniki geleistet, dann ist die Exlehrerin
während der Ferien immer wieder zwi-
schen Luxemburg und der Insel Chios an
der türkischen Grenze hin- und hergepen-
delt. Wir haben den Flüchtlingen aus den
Booten geholfen, sagt Sara, wir haben
Zelte mit ihnen aufgerichtet, Hilfsgüter
verteilt, gekocht, ihnen Telefongespräche
ermöglicht, damit sie Kontakt zu ihren im
Heimatland verbliebenen Familienmitglie-
dern aufnehmen konnten. Um sich ihrem
Engagement mit den Flüchtlingen zu wid-
men, hat Sara mit der Gründung des AN-
KAA-Projekts ihren Job als Lehrerin vor-
erst aufgegeben. Denn, sagt Sara, was pas-
siert mit diesen Menschen im Notstand,
nachdem sie an der Küste gelandet sind?
Es genügt nicht, die Flüchtlinge aufzuneh-
men und sie im Leerlauf sitzen zu lassen.
Das Ziel des von den unbezahlten Freiwil-
ligen ins Leben gerufenen ANKAA-Pro-
jekts besteht darin, den aus der Misere ge-
flüchteten Menschen die Integration im
Asylland zu ermöglichen. Im ANKAA-Ge-
bäude werden demgemäß Werkstätten
und Studien angeboten, welche die
Flüchtlinge auf den Arbeitsmarkt und so-
I
mit auf ein selbstständiges menschenwür-
diges Leben vorbereiten. Hier werden eng-
lische und griechische Sprachkurse von
Freiwilligen angeboten, es gibt Computer-
kurse in einem Raum mit gestifteten Com-
putern, Friseurkurse, Kochateliers, einen
Nähkursus, in dem bereits Kleider zum
künftigen Verkauf hergestellt werden.
Auch wird eine tägliche Mahlzeit an die
um 350 eingetragene Studenten verteilt.
Sara öffnet die Tür zu den verschiedenen
Lehrräumen, in denen die Flüchtlinge flei-
ßig am Studieren sind. Die Atmosphäre ist
diszipliniert, hier können die geflüchteten
Menschen ihre Zukunft in dem Land auf-
bauen, das ihnen Asyl gewährt. Auch gibt
es eine Bibliothek mit Büchern, ein Zim-
mer mit Instrumenten, jedes Buch und je-
de Gitarre ist gespendet. Wir gehen nach
draußen, soeben ist eine aus Spanien ge-
spendete Fracht mit Trockengütern wie
Teigwaren und Tomatenkonserven abge-
liefert worden. Sara führt mich in die
mehr als beeindruckende, kürzlich einge-
richtete Werkstatt. Hier gibt es eine bereits
funktionelle Schreinerei, in der Jugendli-
che am Arbeiten sind, das gesamte Werk-
zeug, die Werkbänke sind aus Luxemburg
gespendet und nach Athen transportiert
worden. Es gibt ein Metallatelier, ein Ke-
ramikatelier wird in Kürze betriebsfähig
sein, es gibt ein Elektriker- und ein
Schmuckatelier. Zwischen den verwahr-
losten Flüchtlingen in den Straßen Athens
und den Flüchtlingen in den Räumlichkei-
ten des ANKAA-Gebäudes besteht ein
Unterschied wie zwischen Tag und Nacht.
Dank der Unterstützung des ANKAA-
Teams werden die Flüchtlinge wieder zu
Menschen, die ein würdiges Leben zu füh-
ren imstande sind. Sie werden nicht zu
herumlungernden Außenseitern, sondern
sie können in diesen Räumlichkeiten eine
Lehre als Friseur, Schreiner, Metallurgist,
Informatiker oder Koch angehen und sich
in den griechischen Alltag integrieren.
Hier sind lehr- und arbeitswillige Men-
schen aus Palästina anzutreffen, aus Sy-
rien, Iran, Afghanistan, Irak. Wir heißen
auch bedürftige Griechen in unserer Orga-
nisation willkommen, sagt Sara, unser
Haus steht allen offen. Hier sind Leute ab
16 Jahren anzutreffen, eine Alterssparte in
der Flüchtlingsszene, die keine Unterstüt-
zung erfährt. In der Cafeteria riecht es
nach Kaffee, nach Essen. Montags wird
arabisch gekocht, sagt Sara, dienstags ira-
nisch, mittwochs europäisch, dann afgha-
nisch. Hier geht es multikulturell zu, die
Atmosphäre ist freudig, lebendig. Ich höre
viel arabisch um mich herum, die Jungs
und Mädchen begrüßen mich gastfreund-
lich. Ich fühle mich hier wohl genauso
willkommen, wie sie sich selbst willkom-
men fühlen in einem neuen Land. Sie
nennen mir ihre Namen, ich ihnen mei-
nen. Worauf diese gute Atmosphäre zu-
rückzuführen ist? Wir haben mit diesen
Menschen in Flüchtlingszelten geschlafen,
sagt Sara, im Elend, im Schlamm. Wir wa-
ren von Anfang an mit ihnen in einem
Boot, wir haben alles gemeinsam durch-
lebt. Und zusammen sind wir aus den
Flüchtlingslagern von Chios nach Athen
gezogen. Darum geht es. Das Zusammen
ist das Wichtigste, das Zusammen ist der
Schlüssel zur Integration. Wir ziehen zu-
sammen an einem Strick, aus dem Elend
in die Integration, in ein menschenwürdi-
ges Leben.
Alle Spenden finden beste Verwendung:
ANKAA Project
IBAN LU12 0030 5086 8960 1000
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Ankaaproject.orgLinda Graf
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